Dass Angst immer noch die Seele auffrisst, ist eine auch im gruppenalytischen Kontext geteilte Erfahrung. Angstauslösende Konflikte bieten indes auch das Potential, in gemeinsamen Anstrengungen zu über den Konflikt hinausgehenden Sichtweisen zu gelangen. Welche kreativen Kräfte stecken also in Konflikten? Unter dem Motto „Kein Konflikt ohne Potenz“ eröffnete am Freitag die 4. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Gruppenanalyse und Gruppenpsychotherapie in Berlin-Dahlem.
Konflikte haben es in sich. Um sie als produktive Kraft nutzbar zu machen, begeben sich Gruppenanalytiker in die Metaposition: So lässt sich über die Bedeutung von Konflikten besser nachdenken und an der Entwicklung der Themen hinter dem Konflikt arbeiten. In verfahrenen Konfliktsituationen bietet die Metaebene oftmals den einzigen Ausweg. D3G-Vorsitzender Pieter Hutz betonte die Chance von Gruppensettings, hierfür einen haltgebenden Rahmen zu bieten, in dem ausgegrenzte Aspekte und Motive – aber auch die Angst vor dem Scheitern der Gruppenarbeit – ergründet und in klärende Prozesse überführt werden können.
Der Mensch ist ohne den Gruppenzusammenhang nicht denkbar – an diese schlichte, doch wahre Tatsache erinnerte Emir Demirbüken-Wegner, zuständig für Gesundheit beim Land Berlin. Ethnische Vielstimmigkeit fordere konstruktive Lösungen ein. Der oftmals hohe Veränderungsdruck von Konfliktlösungsverfahren bewirke indes, dass sich manch einer lieber sein altes Problem zurückwünsche. Gruppen förderten aber auch empathisches Handeln und soziale Reifung, so Demirbüken-Wegner weiter. Gleichwohl schaffen sie auch Gruppenzwänge und Konformitätsdruck. Selbst der Einsiedler sei besser zu verstehen, wenn man die Gruppe kennt, der er zu entrinnen versucht.
Zum Konfliktlösungspotential von Gruppen zählte Martin Teising (IPU) in seinem Grußwort auch den seit rund 70 Jahren währenden Frieden in Deutschland. Diese Großgruppenleistung sei ein gutes Beispiel auch für die Sublimierungskräfte von Gruppen.
Welche Rolle spielen „Vielfalt“ und „Unterschied“ in Konflikten? Die britische Gruppenanalytikerin Sue Einhorn berichtete im Eröffnungsvortrag von ihrer Arbeit als analytische Gruppentrainerin in Sankt Petersburg. Wichtige Aspekte in ihrer Arbeit mit den russischen Kandidaten waren Traumatisierungen, aber auch die Frage nach dem gemeinsam Begehrten. Der Mut, dem Konflikt ins Auge zu schauen, die Angst vor Racheimpulsen und Ambivalenzspannungen, prägte die gemeinsame Arbeit. Differenzbegehren und Konfliktdynamik gehen Einhorn zufolge häufig Hand in Hand, weil sie an Machtbeziehungen anknüpfen. Eine gemeinsame Basis konnte insofern durch ein Eingehen auf die Unterschiede der Gruppenmitglieder gefunden werden.
Der Status der Ausländerin – Einhorn arbeitete mit Dolmetschern – erwies sich mit Blick auf das Entstehen von Vertrauensbeziehungen zu den Gruppenmitgliedern sogar als ein Vorteil. In der anschließenden Diskussion wurde betont, dass mit der Aussenseiterposition immer auch Gefahren einhergehen, ist der Blick von außen doch nicht vor asymmetrischen bzw. stereotypen Wahrnehmungsverformungen gefeit. Aus westeuropäischer Sicht erscheine Russland sofern nicht selten noch unfreier und rückständiger, als das Land in Wirklichkeit ist. Gruppenanalytiker mit ostdeutscher Biographie wissen jedoch von frei praktizierenden Psychoanalytikern selbst im Moskau zu Breschnews Zeiten zu berichten.
Die Arbeit in Gruppen, so hörte man am Rande der Tagung im Dahlemer Harnack Haus, erleichtere es, zu Triadischen Positionen zu gelangen. Das Triadische, so Ulrich Schultz-Venrath (Bergisch Gladbach), schütze insbesondere schwerer geschädigte Patienten vor der Ich-Preisgabe in dyadischen Analytiker-Analysanden-Arbeitsbeziehungen. Die Gruppenarbeit hält sofern immer auch die gesamtödipale Funktion des Aufstands aus der Freudschen Gattungsgeschichte in Erinnerung. Eine zeitgemäße Diversifizierung des Ödipusparadigmas ist einer innovativ praktizierten Psychoanalyse gewiss zu wünschen.
Innovativ war auch die „Großgruppe“, die Tradition bei den D3G-Tagungen hat. Die Tagungsteilnehmer versammelten sich zum kollektiven Austausch von Worten im lichtoffenen Goethe-Saal des Harnack-Hauses, um der Dynamik der Gruppe das Feld zu öffnen. Ungeachtet klimaanlagebedingter Störgeräusche kristallisierte sich die Psychanalyse als Streitthema heraus. Einmal mehr erscheint sie als der Signifikant, in dem berufspolitische Ausgrenzungserfahrungen ebenso kulminieren wie überhaupt die Kardinalfrage nach einer Institutionalisierbarkeit psychoanalytischer Berufsmodelle. Als die zentrale Frage ließ sich sofern auch vernehmen, was die Großgruppe wirklich verbinde. Hierzu assoziierten die Teilnehmer von Abrechnungsmodalitäten über Differenzierungsängste bis zum Wunsch nach einer Willkommenskultur, die mehr ist als ein Lippenbekenntnis der Etablierten. Das Konfliktpotential war in jedem Fall vorhanden, aber auch die Offenheit und Bereitschaft, sich gemeinsam darüber zu verständigen. MSG
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