In der psychodynamischen Übertragung wiederholt der Mensch bekanntlich frühere Beziehungserfahrungen. Der Übertragungsbegriff eröffnet überdies ein Verständnis dafür, welche Art von menschlicher Erkenntnis die Psychoanalyse vermittelt. Übertragungen sind Verknüpfungsleistungen der Phantasie, die den Zugang zum Fremden und Andersartigen erleichtern. Sie sind indes auch „falsche Verknüpfungen“ (Freud 1895), also Abweichungen vom sog. "normalen" Denken und insofern mit dem Witz verwandt.
Dem Phänomen der Übertragung liegt die menschliche Versuchung zugrunde, Ähnlichkeiten wahrzunehmen, wo keine sind. Es ist vergleichbar damit, in Wolkenformationen zum Beispiel Schafe oder anderes "wiederzuentdecken“. Die Anverwandlung des Anderen nach dem Ähnlichen verzerrt jedoch die Wahrnehmung sozialer Beziehungen. In der Engführung des Denkens, als welche sich die Übertragung darstellt, wird auch das Sprechen und Handeln einem kleinen Kontext unterworfen. Andererseits lässt sich die Übertragung aber auch als Versuch begreifen, fixierte Beziehungsmuster in aktuellen Begegnungen fortzuentwickeln.
Ähnlichkeitsbezüge leiden grundsätzlich an ihrer Unbestimmtheit und lassen bei genauer Betrachtung viele Abstufungen zu. Dessen ungeachtet ist die Neigung stark, Ähnlichkeiten als objektiv gegeben zu betrachten. Dabei ist es gewiss leichter gesagt als getan, die Außenwelt ohne Bezugnahme auf die eigene individuelle Vergangenheit wahrzunehmen. Der Vorteil der Ähnlichkeitsanverwandlung liegt ja darin, dass sie eine Möglichkeit darstellt, das Unbekannte und Fremde durch vertrautere, d.h. lustvollere Muster zu ersetzen. Trotz der damit einhergehenden Verzerrungen handelt es sich bei Übertragungen um eine Art von Urteilsbildung. Ihnen liegt eine unbewusste primäre Logik des Denkens zugrunde.
Nun ist es die epistemische Ursprungsgeste der Psychoanalyse Freuds, vom Unlogischen auszugehen, um das menschliche Denken und Handeln zu erkunden. So hat Freud es mit Blick auf die Psychoneurosen vorgemacht, und dieselbe Herangehensweise führte ihn zur Aufklärung des Traumphänomens und der Alltagsfehlhandlungen. Die Reaktualisierung vergangener Rollenerfahrungen in der Übertragung stellt einen weiteren Fall dar, wo anhand eines objektiv Fehlerhaften im Wege der Analyse neue Einsichten und Erkenntnisse gewonnen werden können.
Freud hat das jeweilige Phänomen nicht isoliert begutachtet, sondern es in einen erweiterten Bedeutungszusammenhang gerückt. Die Übertragung ist zwar an sich deterministisch, sofern es immer bestimmte Rollenerfahrungen sind, auf die ein Individuum in der Übertragung zurückfällt; in der Art der Ausformung ist die Übertragung jedoch komplex-dynamisch. Auch wenn sich Übertragungen wiederholen, wäre es für ein Verständnis ihrer Wirkung wohl wenig sinnvoll, sie zu kategorisieren. Übertragungsprozesse sind interpretationsbedürftig.
Sofern die Übertragung ein Kontextphänomen darstellt, lässt sie sich durch Inzusammenhangsetzungen aufklären. Stereotyp gesprochen wird man sich des Umstands gewahr, dass die Objekte im Hier und Jetzt aus objektiver Sicht keinen unmittelbaren Bezug zu den Objekten im Dort und Damals haben. Die Übertragung beenden heißt sofern, den Rückgriff auf jene Beziehungsgewohnheiten aufzugeben, die für das Individuum nicht mehr zeitgemäß sind. Bleibt dann noch die Frage, woraus sich das Bedürfnis ergibt, eine vergangene Beziehungserfahrung auf die Gegenwart zu übertragen.
Die Arbeit an der Übertragung birgt die Chance, etwas über sich selbst in Erfahrung zu bringen. Für ein Verständnis der Seelentätigkeit ist jeder Mensch auf ein Verstehen seiner Übertragungen angewiesen. Doch wie sollten falsche Vernüpfungen und fehlerhaftes Denken zu Selbsteinsicht führen? Die psychoanalytische Epistemik rechtfertigt sich in ihren Resultaten, weil jene unmittelbar auf die Grundannahmen zurückwirken. (Freud 1940a, S. 67) Mit anderen Worten: Das Wissen muss sich von der Empirie belehren lassen - nicht umgekehrt. Erst die Bereitschaft zur Selbstkorrektur lässt es daher sinnvoll erscheinen, mit „falschen Verknüpfungen“ zu arbeiten.
In Zur Dynamik der Übertragung sprach Freud vom Kampf zwischen Arzt und Patient, zwischen Intellekt und Triebleben, zwischen Erkennen und Agierenwollen, der sich fast ausschließlich an den Übertragungsphänomenen abspielt. „Die unbewussten Regungen wollen nicht erinnert werden“ (1912b, S 374). Wenn Lacan im Seminar XI betont, dass die Übertragung das Unbewusste schließt, erinnert er daran, dass es sich bei der Übertragung um ein Agieren alter Leidenschaften handelt, also um einen Widerstand gegen eine Auseinandersetzung mit dem Abgewehrten und Verdrängten.
So wird auch nachvollziehbar, warum es bisweilen viel innere Arbeit und Zeit kostet, sich seiner Übertragungsphantasien bewusst zu werden und sie vom imaginären Bereich in den Bereich des Symbolischen, d.h. der Sprache und des Sprechens zu übersetzen. Auf diese Weise lassen sich die in den Übertragungsmustern konservierten, längst aus der Zeit gefallenen Beziehungserfahrungen zeitgemäß verarbeiten.
Es darf auch nicht vergessen werden, dass durch Übertragungen die Beziehungen zwischen Menschen wesentlich relational werden. Das Übertragungsangebot eines Anderen können wir annehmen oder ablehnen – in jedem Fall sind wir am Zug, uns der Herausforderung einer zwischenmenschlichen Beziehungserfahrung zu stellen. Ein Gegenübertragungswiderstand, also die innere Weigerung, sich einem Übertragungsangebot entsprechend einzustimmen, bietet immer auch Gelegenheit, sich intellektuell mit all dem Subjektiven zu beschäftigen, das das Menschsein ausmacht.
Erst die Brüche im Übertragungsgeschehen, zum Beispiel eine peinliche Namenverwechslung oder ein verpasster Termin, deuten auf Unbewusstes hin. Fehlleistungen dieser und anderer Art können regelrecht zu einem Erwachen aus einer Übertragungsdynamik führen. Ein Versprecher macht bspw. darauf aufmerksam, dass etwas Unbewusstes im Spiel war, das die Übertragung massiv störte. Was es war, bleibt zu ergründen.
Übertragungen sind ein alltägliches Phänomen sozialer Beziehungen. Die psychoanalytische Erkenntnistheorie weiß zudem um den Zusammenhang zwischen Übertragung, Metapher und Symptom. Hierbei geht es auch um den für die psychoanalytische Erkenntnislehre so wichtigen Unterschied zwischen dualem und triangulärem Denken. MSG
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