Die Zukunft der Psychoanalyse hängt davon ab, inwieweit sie ein ähnliches Interesse für gesellschaftliche Fragen entwickeln kann, wie es der ersten Generation der Psychoanalytiker gelang.

(A. Mitscherlich)

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Geld oder Leben? Psychoanalyse in der Ökonomie

Legal tender for all debts. Schon Dostojewskij wusste, dass Geld "geprägte Freiheit" ist. Bild flickr.
Legal tender for all debts. Schon Dostojewskij wusste, dass Geld "geprägte Freiheit" ist. Bild flickr.

Der britische Ökonom John Maynard Keynes plädierte Anfang des 20. Jahrhunderts für ein Wirtschaftssystem, das dem Individuum die Freiheit lässt, seine Probleme selbst zu lösen. Da das marktwirtschaftliche System diese Voraussetzungen nicht immer von selbst herstellt, trat er bekanntlich für eine staatliche Steuerung der Gesamtwirtschaft zum Schutz der Unabhängigkeit von Unternehmern und Individuen ein. Weniger bekannt ist, dass Keynes die Arbeiten von Freud kannte und dessen Theorien ausdrücklich schätzte.

 

Klaus Gourgé (2001) zeigt in Ökonomie und Psychoanalyse, inwieweit Keynes ökonomische Grundannahmen mit der psychoanalytischen Theorie kompatibel sind. Ökonomie stellte für Keynes keineswegs einen störungsfreien Organismus aus Teilnehmern mit stabilen Verhältnissen dar, sondern ein von einem Mangel an Rationalität geprägtes System. (Gourgé 2001, S. 106f.) Ebensowenig wie Freud führte dies Keynes jedoch zur Annahme einer Vorherrschaft des Irrationalen, sondern dazu, nach Mechanismen für deren Bewusstmachung zu suchen.

 

Psychoanalyse und Geld haben etliche gemeinsame Anknüpfungspunkte. In Zur Einleitung der Behandlung nennt Freud als wichtige Punkte zu Beginn der analytischen Kur „die Bestimmung über Zeit und Geld“ (Freud 1913c, S. 458). Im Kontext psychoanalytischer Deutungen spielen Verbindungen zwischen Geld, Kot und Liebe eine Rolle. Karl Abraham berichtet von einer Patientin, die zur Abwehr ihrer Angst allerhand Geldausgaben tätigt, „die praktisch nicht zu rechtfertigen waren. Sie verausgabte Geld statt Libido“ (Abraham 1917, „Das Geldausgeben im Angstzustand“, in: Gesammelte Schriften, Bd. I, Frankfurt am Main 1982, S. 65. Kursiv. i.O.).

 

Abrahams Fallbeispiel rückt den Tauschcharakter des Geldes in den Blickpunkt. Der Tauschhandel besteht nicht nur darin, Waren für Geld erhalten zu können; darüber hinaus kann Geld zum symbolischen Ersatz für etwas anderes werden – für Liebe oder Macht. Bei der Prostitution wird Geld zum Tauschmedium für flüchtige Objektbeziehungen, während Schmiergeld bei der Wirtschaftskorruption Machtphantasien umzusetzen hilft.

 

Geld regelt die Beziehungen von Menschen untereinander, aber auch die Beziehung des Einzelnen zur Gemeinschaft. Wie wichtig Geld im allgemeinen ist, zeigt sich daran, dass wir es immer bei uns tragen, in der Regel dicht am Körper. Dies gilt auch für das ‘unsichtbare’ Geld, für EC- und Kreditkarten. Die zunehmende Bargeldlosigkeit der Bezahlvorgänge schafft das Geld und seine soziale Funktionen jedoch nicht aus der Welt. Eine Sperrung der EC-Karte wird als ebenso einschränkend empfunden wie der Verlust des Portemonnaies. Ohne Bares oder Geldkarte ist die Verbindung des Subjekts zur kapitalistischen Gesellschaft gekappt.

 

In den kapitalistischen Gesellschaftsformen ist die Frage der Kreditfähigkeit identitätsbestimmend. Im Zweifel macht ein geleaster SUV mehr Eindruck als ein abbezahltes Fahrrad. Identität hatte im 19. Jahrhundert einen romantischen Beiklang und wurde mit Leidenschaft, Seele, Kreativität und Charakter assoziiert. (Gourgé 2001, S. 26f.) Mit Beginn des 20. Jahrhunderts lösten logisches Denken und Vernunftorientierung den seelisch-emotionalen Aspekt in der Selbstcharakterisierung ab. Für die Postmoderne lässt sich kaum ein eindeutig festlegbares Identitätsbild des Menschen definieren. Der Wunsch nach persönlicher Identität scheint unterdessen größer denn je. Der Getränkehersteller Coca Cola druckt seit neuestem Vornamen auf seine Flaschen und suggeriert so Individualität bei einem Massenprodukt.

 

Die Verteilung des Geldes wird allgemein als zunehmend ungleich wahrgenommen. Eine Initiative des amerikanischen Finanzinvestors George Soros, Institut für neues ökonomisches Denken (Inet) kritisiert diese gegenwärtige ökonomische Entwicklung, weil sie das Wachstum gefährde. (F.A.Z. vom 14.4.2015) Der Inet-Verwaltungsratsvorsitzende Adair Turner brandmarkt „vor allem die Mathematisierung der Ökonomie, die darauf beruhe, dass die Menschen immer rationale Erwartungen hätten, freie Märkte immer effizient seien und Wachstum für alle hervorbrächten“ (ebd.).

 

Die von Turner angeprangerte „Mathematisierung der Ökonomie“ lässt sich tatsächlich vielerorts beobachten: Evaluationsverfahren gibt es heute in zahlreichen Berufen zur "Qualitätssicherung", ebenso Rankings an Schulen und Universitäten, während die Messbarkeit als oberstes Prinzip einer Wirkungsanalyse in Medizin und Psychotherapie gilt. Was den Zweck einer objektiven Vergleichbarkeit von Leistungen erfüllen sollte, führt jedoch nicht selten zu neuen Kontrollmöglichkeiten, zu Konformitätsdenken und „Austauschbarkeitsangst“ (Klaus Ottomeyer). Vereinfachend gesagt, geht es nicht um den Wert einer Beziehung, eines Gegenstandes oder einer Leistung, sondern um deren Quantifizierung als Preis-/Leistungsbilanz.

 

Zugleich haben Wertediskurse Hochkonjunktur. In teuren Coaching-Seminaren wird vermittelt, wie sich unter den Mitgliedern in Organisationen, Unternehmen und im Management wieder mehr Fairness, Transparenz, Verbindlichkeit und Eigenverantwortung etablieren lässt. Trainer lehren den hohen Stellenwert von „Authentizität“ für das Selbstgefühl und für die äußere Wahrnehmung. Identitätsbildung erscheint hier wie ein Fitnessprogramm für Selbstoptimierer. Der psychische Binnenmarkt nach dem Echten scheint unbegrenzt und stets offen für Tauschbeziehungen, die eher auf Täuschungen beruhen. Insbesondere fehlt der Sinn für das Unbewusste und dessen Dynamiken, welche die imaginativen Autonomiewünsche des Subjekts unterlaufen.


Freud hat derweil gezeigt, dass das Ich selbst ein Objekt ist, das sich erst nach und nach herauskristallisiert und gegen die gleichsam konsumistischen Bestrebungen des Es und des Überich behaupten muss. Der Wiederholungsmechanismus des Tauschens dient Individuen unter Umständen auch dazu, ihr Ich zu regulieren. Gönnertum und Geiz, Schuldgefühl und Großherzigkeit drücken sich auch über die Beziehung zum Geld aus. Bekanntlich nimmt die Schuld In Freuds Gesellschaftstheorie als Movens aller Taten und Untaten eine zentrale Bedeutung ein, während Geiz mit der analen Fixierung eines Charakters in Verbindung gebracht wird.


Auch Georg Simmel sucht in seiner Philosophie des Geldes nach Erklärungen für den Geiz: „Die reinste Form des Geizes ist vielmehr die, in die der Wille wirklich nicht über das Geld hinausgeht, es auch nicht einmal in spielenden Gedanken als Mittel für anderes behandelt, sondern die Macht, die es gerade als nicht ausgegebenes repräsentiert, als definitiven und absolut befriedigenden Wert empfindet“ (Georg Simmel, "Über Geiz, Verschwendung und Armut". In: Ethische Kultur. Wochenschrift für sozial-ethische Reformen. 7. Jg. 1899, Heft 42, S. 332-335; Heft 43, S. 340f.). Insbesondere im Alter, wenn die sinnliche Seite des Lebens ihren Reiz einbüßt, richte sich das Interesse zunehmend auf Machtbesitz und Machtausübung. Geldbesitz sei die abstrakteste Form dieser Tendenz.


Man kann die These wagen, dass das Unverantwortliche am Geiz darin liegt, die "Tauschbringschuld" des Geldes zu ignorieren. Die Wandelbarkeit des Geldes, symbolischer Träger für allerlei Wünsche, Hoffnungen, Begierden und Ziele sein zu können, impliziert die soziale Verpflichtung zur Investition. Der Punkt ist, dass Geiz nicht nur den Austausch von Waren und Geld unterbindet, sondern auch den Austausch von Phantasien und Worten. MSG

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