Die Zeit der großen Kontroversen um die Psychoanalyse liegt zwar bereits länger zurück - dessen ungeachtet weckt die Psychoanalyse als Diskurs- und Beratungsinstrument wachsende Neugier. Überlegungen und Ansätze zu einer Nutzung psychoanalytischer Ideen und Konzepte außerhalb der Psychoanalyse im engeren Sinne werden nicht länger als unzulässige oder unseriöse Popularisierung gewertet. Ihr sprachlich sensibilisiertes Verständnis ebenso wie ihr Gegenstand, unbewusste Seelenakte, stehen auf interessante Weise kontrovers zu den Zeitgeistvokabeln ‘Professionalisierung’, ‘Evaluierbarkeit’ und ‘Effizienzdenken’.
Doch machen wir uns nichts vor: Die Psychoanalyse ist keine Veranstaltung für jedermann. Schon Freud räumte ein, dass sie Entrüstung, Spott, Hohn und andere „starke affektive Mächte“ (Freud 1925e, S. 104) wachruft. Demgegenüber steht jedoch die Einzigartigkeit ihrer Erkenntnisleistung. Gewiss existieren auch andere forschende Disziplinen, die die Bedingungen des Menschseins untersuchen. Als das Alleinstellungsmerkmal der Psychoanalyse gilt indes, uns mit der Tatsache vertraut zu machen, dass unser Sprechen und andere Symbolisierungsleistungen selten in einer bloßen Verrechnungslogik aufgehen. Die Dimension des Metaphorischen, d.h. der Übertragung, ist immer schon am Werk und führt ein imaginäres Moment in den Austausch von Symbolen ein. Der Platz des Psychoanalytikers verlangt sofern nicht umsonst eine radikale Auseinandersetzung mit der eigenen Identität als auch der eigenen Nicht-Identität sowie mit der Frage, inwiefern diese (Nicht-)Identität die analytische Arbeit mit dem Anderen beeinflusst.
Doch auch außerhalb der analytischen Kur begegnen sich Menschen und fragen sich gelegentlich, warum sie einander anziehend, fremdartig, abweisend, geheimnisvoll, vertraut oder auch bloß langweilig finden. Und wie es gelingen soll, sich und die anderen in Teams und Organisationen gemeinsam zu etwas zu bewegen, ohne die symbolischen Strukturen, ohne die nichts funktionieren würde, zu restriktiv oder zu locker zu handhaben? Eröffnet die Psychoanalyse und ihr spezifisches Wissen von den Bedingtheiten des Menschseins da nicht kluge und pragmatische Lösungsansätze? Das leitet zu der Frage über, was Psychoanalyse eigentlich zu bieten hat? Drei Aspekte erscheinen hier von Bedeutung:
1) Als Methode fördert Psychoanalyse unser Verständnis für Übertragungsphänomene, d.h. dafür, wie unbewusste Muster des Denkens, Fühlens, Handelns und Interagierens zu Missverständnissen und Problemen im sozialen Umfeld führen können. Ziel dieses Verständnisses ist es, zu einer Veränderung im Umgang mit diesen Mustern zu gelangen, indem diese nicht länger persönlich, sondern analytisch beantwortet werden können.
2) Unbewusste Probleme und Konflikte stellen nicht selten die Wiederholung von Mustern, Problemen und Lösungen aus der Kindheit des Individuums dar. So können frühe Beziehungserfahrungen bekanntlich das ganze Leben prägen. Indem es gelingt, eine Sprache für diese Prägungen zu finden, eröffnet sich auch die Chance, die Wiederholungsdynamik der Konfliktmuster zu hemmen, um neue, alternative Erfahrungen machen zu können.
3) Die Tätigkeit von Psychoanalytikern besteht nicht zuletzt darin, auf das Wirken von Beziehungsmustern und anderen signifikanten Merkmalen zu achten und ihre Beobachtungen und Gedanken hierzu dem Analysanten bzw. Klienten in adäquater Weise zu vermitteln. Hierdurch ergibt sich die Möglichkeit einer Erweiterung des Wissens um die Feinstruktur der Verdrängungsvorgänge, deren Kenntnis eine Neubewertung von Erfahrungen, Beziehungen und Handlungen erlaubt. Mit diesem Wissen geht auch die Chance auf bessere Entscheidungen für die Zukunft einher.
Was hier als Wirkungsweise der psychoanalytischen Arbeit für den Einzelnen skizziert wurde, wird seit langem bereits auch im Organisationskontext eingebracht. In der Tat gibt es ein breites Spektrum angewandter Psychoanalyse, das sich mit den Aspekten von Menschen in Organisationen befasst. Zur psychodynamischen Organisationsberatung zählen die Bereiche Team- und Führungssupervision, Organisationsentwicklung, Konfliktberatung und Coaching. Dabei liegt der Fokus auf den unbewussten Dynamiken in Organisationen. Hierunter ist das Wissen des Unbewussten der einzelnen Mitglieder zu verstehen, das im Einflussbereich von Gruppenprozessen sowie unter dem Kontinuum einer Organisationsgeschichte zu einem gemeinsamen Unbewussten innerhalb einer Organisation wird.
Die psychoanalytische Beratungsarbeit in Organisationen kann bei den Schnittstellen zwischen den rationalen und zweckorientierten Abläufen und Strukturen einer Organisation sowie den unbewussten Dynamiken ansetzen. Es stehen sofern auch weniger neurotische Eigenheiten von Einzelnen im Blickpunkt der Betrachtungen, sondern die Art und Weise, wie sich einzelne Mitglieder einer Organisation zum Zweck und zu den Arbeitsaufgaben der Organisation stellen. (Vgl. Mathias Lohmer, „Der Psychoanalytische Ansatz in Coaching und Organisationsberatung“. PiD 3-2007, 8. Jg., S. 229-233)
Das Verhältnis der Psychoanalyse zur Arbeit ist ein spezielles. Man denke an Freuds Neuerfindungen des Arbeitsbegriffs in den Komposita mit Traum-, Trauer-, Witz- u.a. Lacan bezeichnete den Trieb als den idealen Arbeiter, sofern man von ihm nie Urlaub nehmen könne. Während die Quantifizierung von Arbeit als eine wesentliche Grundbedingung für den Kapitalismus angesehen werden kann, verweigert sich das psychoanalytische Denken jenen Bestrebungen, die menschliches Handeln vorrangig unter dem Aspekt der Messbarkeit zu evaluieren trachten. Eher operiert sie mit Begriffsmetaphern wie derjenigen der Sublimation. Lacan setzte Freuds Sublimationsthese mit dem Trieb in Relation, der an kein Ende kommt und trotzdem höchst spannungsvoll zu etwas führt, das sich jedoch weder ich-gerecht planen noch dem Willen unterwerfen lässt. Die Sublimierung bringt Leistungen hervor; sie bewirkt unablässig Entscheidungen und Handlungen. Auf diese Weise kommt es zu zweckmäßigen Erledigungen ansonsten unverträglicher Wunsche.
Der unverträgliche Wunsch folgt den Restriktionen und Einschränkungen, die seitens der Kulturordnungen an den Einzelnen auch und vor allem in Organisationen gerichtet werden. In der psychoanalytischen Organisationsberatung geht es daher auch um die Frage, wie sich die Begehrensstruktur im Denken und Handeln Einzelner in Organisationen verändert. Ein wichtiger Indikator hierfür ist das Sprechen. Innerhalb jeder Organisation gibt es sprachliche Formen, die von den Mitgliedern übernommen werden, um mitreden zu können. Informelle Sprachregelungen gründen indes häufig auf den Dingen und nicht auf der Sprache und ihrer Metaphorisierbarkeit, sofern der Sprachgebrauch in einer Organisation immer an ihren Zweck rückgebunden wird.
Dieser Zweck folgt in einer Marktwirtschaft in der Regel der Logik von Wachstum und Mehrwert. Mehr Produkte oder Dienstleistungen bedeuten mehr Wachstum und Mehrwert für eine Organisation. Zwischen der Arbeit der Einzelnen und dem Wert der Organisation besteht eine binäre Repräsentationsordnung, die kaum Raum für Exzesse und Eskapismus lässt. Diese Fixierung kann dazu führen, dass Organisationen in ihrer Entwicklungs- und Veränderungsfähigkeit gehemmt werden und in weiterer Folge ‘erkranken’. Die Psychoanalyse besitzt nun aber ein konkretes Wissen davon, dass der Mensch im Zuge seiner Entwicklung die binäre Symbolordnung überschreiten lernen muss, um sich die Fähigkeit zum Symbolisieren anzueignen. Andernfalls verbliebe er auf dem Niveau eines Automaten. Das Sprechen birgt hierbei auch im Organisationskontext die Möglichkeit, aus der Sackgasse allzu restriktiver Sprachordnungen herauszufinden. MSG
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