Seit der Veröffentlichung von Geheimdienstdaten durch Edward Snowden ist klar, dass mit Hilfe des Internets Informationen nicht nur leicht publiziert, sondern auch flächendeckend kontrolliert werden. Die mühelose Überwachung des Internets durch die NSA und andere Geheimdienste verändert nicht nur das Kommunikationsverhalten privater Mediennutzer, sondern auch die Arbeitsweise von kritisch berichtenden Journalisten. Ungeachtet dessen ist es erstaunlich, dass auch in der nächtlichen Traumarbeit ein mächtiger Zensor am Werk ist.
Der us-amerikanische Kommunikationsforscher Peter Galison warnte kürzlich davor, dass uns im Zeitalter digitaler Massenüberwachung die permanente Selbstzensur drohe – mit weitreichenden Auswirkungen auf unser Denken und Verhalten. (F.A.Z. 8. April 2014). So gewöhnen wir uns Galison zufolge daran, in unseren Äußerungen immer vorsichtiger zu werden. Ein neues Phänomen? Wohl kaum: Galison weist darauf darauf hin, dass bereits vor mehr als hundert Jahren Sigmund Freud die Selbstzensur als einen gewöhnlichen Vorgang beschrieben hat.
Tatsächlich wies Freud nach, dass Zensur ein regelmäßiger Anteil an der Traumbildung zukomme. Überdies habe diese Tendenz der nächtlichen Denkproduktionen, der Freud die Bezeichnung „sekundäre Bearbeitung“ gab, viel mit der Arbeit des Denkens im Wachen gegen ein beliebiges Wahrnehmungsmaterial gemein: Auch dem Wachdenken sei es demzufolge natürlich, „in einem solchen Material Ordnung zu schaffen, Relationen herzustellen, es unter die Erwartung eines intelligiblen Zusammenhangs zu bringen“ (Freud 1900a, S. 503f.). Und schon 1897 verglich Freud die psychische Zensur mit der damaligen zaristischen Pressezensur und ihren Praktiken des Schwärzens und Überklebens von religiös, sexuell oder politisch anstößigen Bemerkungen über die Herrscher.
Mit Snowden rückt die Erkenntnis ins Zentrum der Aufmerksamkeit, dass die Überwachung der Medien zwar von außen gesteuert wird, sich dennoch aber über die Kooperationsbereitschaft einer eingeübten inneren Praxis der Selbstzensur erfreuen kann. Mit anderen Worten: Die Schere im Kopf ist immer schon zur Hand. Auch bei Freud entsteht Zensur nicht etwa aus dem Nichts. Sie ist dem Anspruch des Ichs geschuldet, etwas müsse logisch oder rational sein. Für unser ‘normales’ Denken sei es Freud zufolge Vorschrift, dass etwas verständlich sein müsse. Das Denken folge daher der Tendenz, die Herkunft verdächtig unlogischer Gedanken zu vernachlässigen, unbeachtet zu lassen oder durch andere Vorstellungen zu ersetzen. Zugleich wird dadurch der Rückweg zum eigentlichen Gedankeninhalt unauffindbar. Genau diesen Effekt macht sich derweil auch die politische Zensur zunutzen, sofern sie ein Wissen aus seinem ursprünglichen Zusammenhang löst und in einen anderen, den Zielen und Zwecken der Zensur passenderen überträgt oder es schlichtweg verschweigt. In diesem Sinne prüft nicht zuletzt auch die Selbstzensur, ob sie nicht besser auf Abstand zu gefährlichen Aussagen gehen sollte.
Doch was ist eine gefährliche Aussage? Und wer bestimmt eigentlich über ihre Gefährlichkeit? Was lässt uns zögern und überlegen, ob wir etwas sagen, denken oder tun dürfen? Ob wir uns etwa für oder gegen eine bestimmte Religion oder eine politische Maßnahme aussprechen? Ob wir unsere sexuelle Identität in Zweifel ziehen? Ob wir Google oder Facebook den Zugriff auf unsere Adressbuch erlauben? Und wie können wir unterscheiden, ob wir es mit dem inneren oder einem äußeren Zensor zu tun haben?
Die Antworten auf diese Fragen sind naturgemäß vielfältig und individuell verschieden. Denkt man über sie nach, gelangt man kaum zu abschließenden Ergebnissen. Ein gemeinsamer Nenner ist, dass der Mensch in einer Kulturumgebung aufwächst, deren Wertekanon vorinterpretiert ist und den er unhinterfragt übernimmt, ohne ihn sich kritisch distanziert zu eigen zu machen. Im Zuge von Erziehung und Sozialisation lernen wir, wofür und wogegen „man“ in verschiedenen Milieus und zu bestimmten Zeiten sein muss, um als Teil einer Gemeinschaft anerkannt zu werden. Ein individuelles Abweichen von vorgefassten Interpretationsmustern gelingt meist nur ausnahmsweise.
Freuds zeitloser Beitrag zur Debatte rund um das vorgeblich freie Denken liegt in der wichtigen Entdeckung, dass unser Denken tatsächlich weniger frei abläuft, als wir annehmen mögen – vielmehr folgt es einer rationalistischen Tendenz und greift auf vorgefertigte Konzepte und unbewusste Phantasievorstellungen zurück. Voraussetzungslos freies Denken verläuft Freud zufolge vom Bewusstsein weitestgehend unbemerkt; zum Bewusstsein gelangt es erst nach einer sekundären Bearbeitung, d.h. einer Überprüfung durch das Vorbewusste, dem dadurch die Funktion einer seelischen Instanz der Zensur zukommt. Diese psychische Zensur kontrolliert, selektiert und behält sich die Macht vor, das Denken zu unterbrechen, wo es in einen zu scharfen Konflikt zu den Erwartungen des Ichs zu geraten droht.
Sofern ist Denken immer schon zensierend. Das freie kritische Denken im eigentlichen Wortsinne erweist sich demgegenüber als eine Fähigkeit, die dem Denken selbst stets aufs neue abgerungen werden muss – etwa indem Rationalisierungen hinterfragt, Fehlinformationen aufgedeckt oder Auslassungen recherchiert werden. Kurzum geht es darum, sich im Denken der Kraft des Herrschaftsdiskurses zu widersetzen. In diesem Ansatz steckt nicht von ungefähr auch gerade das, was guten Journalismus ausmacht. Der Enthüllungsjournalist und Snowden-Vertraute Glenn Greenwald meinte in diesem Sinne, Journalismus sollte in der Demokratie Widersacher all derer sein, die Macht ausüben. Und fügte hinzu, dass dieser Journlismus riskant sei und Geld koste. MSG
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MSG (Sonntag, 04 Januar 2015 11:34)
Heute im DLF: http://www.deutschlandfunk.de/staatliche-spionage-befallen-vom-ueberwachungsvirus.1184.de.html?dram:article_id=307639
MSG (Sonntag, 04 Januar 2015 17:15)
Und so weiter: http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/daimler-ueberprueft-mitarbeiter-wegen-angst-vor-terror-a-1011135.html